Was vor vier Jahren mit einem Experiment auf diesem Blog begann, sind inzwischen frei nach Goethes Zauberlehrling „die Geister, die ich rief“. Die werde ich nun tatsächlich nicht mehr los. Ich will mich darüber nicht beschweren, denn so schlimm sind sie auch wieder nicht. Es sind die Geister des Quant Investing. Manchmal können sie ganz nützlich sein, aber man sollte ihnen nicht blind vertrauen.
Was steckt eigentlich dahinter?
Hinter Quant oder Factor Investing steckt die Idee, Aktien nach genau definierten Kriterien zu kaufen und zu verkaufen. Das können Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis sein, manchmal auch die Kursentwicklung über einen bestimmten Zeitraum, Rankings oder komplexere Berechnungen aus anderen Kennzahlen. Alles, was sich irgendwie in Zahlen ausdrücken und automatisieren lässt, ist als Kriterium denkbar.
Das Ziel solcher Strategien ist es, durch dieses genau definierte Auswahlverfahren immer in einen Korb von Aktien investiert zu sein, der insgesamt eine bessere Performance als der Gesamtmarkt liefert.
Nahezu jede Quant oder Factor Investing Strategie kommt mit einer oder mehreren Studien daher. Diese behaupten, Beweise für die Wirksamkeit der Strategie zu liefern, etwa so: Hätte man vom Zeitpunkt X bis jetzt nach Regel Y gehandelt, dann hätte man im Schnitt eine jährliche Performance von so und so viel Prozent damit erzielt. Natürlich geht es dabei immer um eine hohe Rendite. Diese Studien werden computergestützt auf der Grundlage von Daten der Vergangenheit erstellt. So etwas nennt man Backtesting.
Wie ich „die Geister“ heraufbeschworen habe
Mit einer dieser Quant investing Strategien, und zwar der Levermann-Strategie, habe ich mich besonders ausführlich beschäftigt und beschäftige ich mich noch, allerdings nicht durch Backtesting, sondern in echt mit allen Unwägbarkeiten der Praxis und auch eigenen Fehlern. Ich schreibe dazu regelmäßig Artikel, in denen ich jeden Schritt zeige. Außerdem habe ich mein Excel Tool veröffentlicht, welches ich mir zur Unterstützung der aufwendigen Auswertungen gebaut habe. So ist dieses Thema bisher eines der häufigsten auf meinem Blog.
Und ja, ich finde die Idee so faszinierend, dass ich sogar ein Buch darüber geschrieben habe, in welchem ich versuche, die Dinge, an die niemand dabei von vornherein denkt, halbwegs systematisch darzustellen. (Das Praxisbuch zur Levermann-Strategie *) Und obwohl ich immer wieder meine Zweifel an der Strategie äußere, entsteht wahrscheinlich wegen der Häufigkeit dieses Themas auf meinem Blog der Eindruck, dass das meine persönlich bevorzugte Anlagestrategie sei oder dass ich striktes Quant Investing bevorzuge. Das ist jedoch überhaupt nicht so.
Wahrscheinlich auch aufgrund dieses falschen Eindruckes bekomme ich öfter Mails, in denen ich nach weiteren Quant Investing Strategien gefragt werde. Oftmals wird darin auf eine entsprechende Seite verlinkt, wo eine solche Strategie erklärt ist, und auf eine Studie verwiesen, die ein Experte dazu erstellt hat. Dabei dreht es sich immer wieder um die gleichen oder ähnlichen Ideen.
Manchmal möchte der Mailschreiber wirklich nur meine Meinung dazu wissen. Manchmal hat derjenige jedoch die Idee bereits fest im Hirn verankert, und hinter seiner Nachricht steckt der durchaus nachvollziehbare Wunsch, dass ich unentgeltlich dabei helfe, ein Tool für die besagte Strategie zu entwickeln.
Der sich nach solchen immer sehr netten Anfragen entwickelnde Mail-Dialog läuft meistens nach dem gleichen Schema ab. Ich erkläre höflich aber ehrlich mein Desinteresse und zweifle das Konzept „Beweis durch Backtesting“ an. Damit treffe ich meistens auf Unverständnis. Das ist für mich nachvollziehbar, denn niemand ist offen für Gegenargumente, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.
Außerdem kann und möchte ich in einer Mail, die nur an einen Empfänger geht, die Materie nicht erschöpfend abhandeln. Deshalb greife ich sie in diesem Artikel auf und stelle meine Gedanken dazu etwas ausführlicher dar.
Was ist gefährlich oder ungünstig an Quant Investing Strategien?
Fast immer werden Backtesting-Studien als Beweis für das langfristige Funktionieren ausgegeben, obwohl sie es nicht wirklich beweisen können. Warum nicht? Das verwendete Datenmaterial enthält fast immer Fehler. Es ist verdammt schwer bis unmöglich, sämtliche Splits, Mergers, Spin-Offs, Delistings, Kapitalerhöhungen, Aktienrückkäufe usw. usf. in den Daten korrekt abzubilden. Eine kleine Abweichung im verwendeten Datenmaterial kann zu großer Abweichung im Ergebnis führen.
Nehmen wir trotzdem an, der Autor der Studie hatte perfektes Datenmaterial, welches er absolut fehlerfrei verarbeitet hat. Dann zeigt die Studie ein Ergebnis, das der perfekte Homo oeconomicus, der selbst immer fehlerfrei und emotionslos handelt, herausbekommen hätte. Das hat jedoch nichts mit der Realität zu tun. Menschen handeln emotional und machen Fehler.
Schieben wir auch das beiseite und nehmen an, es gäbe wirklich Anleger vom Typ Homo oeconomicus und viele von denen hätten in der Vergangenheit wirklich genau diese Strategie verfolgt, ohne dabei menschliche Fehler zu machen. Dann wären die Aktienkurse durch eben dieses Handeln beeinflusst worden, wodurch etwas anderes herausgekommen wäre als das durch die Backtesting-Studie „Bewiesene“.
Gehen wir schlussendlich davon aus, es handeln nicht so viele Homines oeconomici korrekt nach diesem System, dann bleibt folgendes zu sagen: Quant Investing Strategien arbeiten aufgrund von Wahrscheinlichkeiten und sind deshalb immer auf eine Menge von Aktien anzuwenden. Für einzelne Aktien betrachtet scheinen sie oftmals unlogisch zu reagieren. Das bekommt nicht jeder Investor auf die Reihe. So kommt es oft vor, dass dann anstelle sich strikt an die Strategie zu halten, Ausnahmen gemacht werden. Oder es werden irgendwelche Zusatzkriterien eingeführt, die zwar vorteilhaft erscheinen, jedoch das Gesamtergebnis verschlechtern, wie z.B. Stoppkurse o. ä.
Die Umsetzung einer erfolgversprechenden Quant Investing Strategie beansprucht immer mehr Zeit und Aufwand als vorher vermutet. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, diesen Aufwand anderen zu überlassen, also Anbieter von fertigen Auswertungen hinzuzuziehen. Das kostet aber in der Regel etwas. Nachlässigkeit oder Hinterfragen solcher Kosten ist dabei nach einer gewissen Zeit nur allzu menschlich, vor allem wenn die erwartete Überperformance länger auf sich warten lässt, und das tut sie fast immer. Die meisten geben dann auf und jagen einer anderen Factor Investing Idee hinterher, womit sie dann ebenfalls scheitern.
Was ist das Gute am Quant Investing?
Ein Gift kann gleichzeitig Medizin sein. Es kommt auf die Dosis an. Mit Quant Investing verhält es sich meiner Meinung nach ähnlich. Dadurch, dass es kaum jemand wirklich länger durchhält, oder wenn doch, dann nur mit relativ kleinen Summen wie ich, können solche Strategien vielleicht wirklich langfristig funktionieren, solange man sie konsequent anwendet. Das schafft man nur, wenn man dabei nicht zu viel riskiert. Meine eigene Faustregel dazu lautet: Setze nur die Summe ein, über deren Totalverlust du dich mit folgenden Worten hinwegtrösten kannst: „Das Geld ist nicht weg, das hat nur jemand anders.“
Wer eine Factor Investing Strategie selbst umsetzt, lernt dabei automatisch eine Menge Dinge, die sich auch anderweitig nutzen lassen. Dazu können rein technische Fertigkeiten gehören, z. B. wie in meinem Fall, Excel- und VBA-Kenntnisse zu vertiefen und zu erweitern, Erfahrung mit verschiedenen Finanzportalen und den darauf angebotenen Daten zu sammeln und ganz nebenbei alle möglichen Lösungen zum automatischen Datenauslesen zu entwickeln. So etwas kann ich auch unabhängig von der ursprünglichen Quant Investing Strategie anwenden, sowohl für andere Anlagestrategien als auch außerhalb der Aktien-Welt.
Zusätzlich habe ich das alles, was ich mühevoll zusammengetragen und durch viel „Try and Error“ immer weiter verbessert habe, systematisch in Buchform aufgeschrieben und veröffentlicht. („Screen Scraping mit Excel VBA“) So finde nicht nur ich das alles wieder, sondern auch andere, wofür ich durch einen Teil des Verkaufspreises bezahlt werde.
Was man noch bei der Umsetzung von Quant Investing Strategien lernen kann, sind sogenannte Soft Skills wie Disziplin und Umgang mit Risiko. Bei Letzterem kann man schön seine Grenzen austesten, denn an diese wird man bei solchen Strategien wahrscheinlich eher stoßen als bei anderen. Ich kann mich genau daran erinnern, wie das bei mir in der Abwärtsphase zwischendurch war.
Bei jeder neuen Aktie, die ich nach einem Verlustverkauf ins Levermann-Depot aufgenommen hatte, war ich mir bewusst, dass ich diese sehr wahrscheinlich bereits ein paar Bewertungsrunden später wieder mit Verlust verkaufen müsste, weil es die Strategie so vorgab. Das fühlt sich wirklich nicht schön an. Zwar dreht sich der Wind irgendwann wieder, aber niemand weiß in dem Moment, wann. Das hätte ich sicher nicht durchgehalten, wenn ich größere Summen eingesetzt hätte. Möglicherweise hätte ich das Experiment auch abgebrochen, wenn es die Jahre davor nicht so gut gelaufen wäre.
Natürlich ging es währenddessen auch in meinen ganz privaten Depots abwärts. Das konnte ich jedoch gelassen hinnehmen, denn die Dividendenaktien haben weiterhin ausgeschüttet und die ETF-Sparpläne wurden zu günstigen Kursen ausgeführt. Also trägt ein Quant-Investing-Versuch auch dazu bei, dass man andere Strategien mehr zu schätzen lernt.
Entweder für oder gegen Quant Investing?
Nein, hier geht es nicht um absolutes Dafür oder Dagegen. Hier kann nur jeder sein eigenes Maß finden. Ich behaupte sogar, ein Fünkchen Quant oder Factor Investing steckt in jeder vernünftigen Anlagestrategie.
Aktien werden nach bestimmten Kriterien mit bestimmten Erwartungen gekauft. Man schaut sich dazu Fundamentaldaten wie die Gewinnentwicklung, Verschuldung, Dividende usw. an. In der Regel wird das Risiko über die Anzahl der Positionen gestreut. Der sprichwörtliche Griff ins Klo ist irgendwann dabei, aber auch die eine oder andere positive Überraschung.
Auch ETFs, die nicht explizit als Multi-Faktor- oder Smart-Beta-ETFs ausgewiesen sind, haben eine Factor Investing Komponente, denn sie bilden einen Index ab und ein Index ist immer nach bestimmten Regeln zusammengesetzt.
Mein Fazit über Quant oder Factor Investing Strategien
1. Backtesting ist niemals ein echter Beweis, sondern liefert allenfalls eine Tendenz.
2. Die konsequente Umsetzung von reinem Quant Investing funktioniert nur mit nicht zu großem Einsatz oder mit Nerven aus Stahl. Das gilt bestimmt auch dann, wenn man einfach nur einen Multi-Faktor-ETF kauft, der auf einer Quant Investing Strategie beruht.
3. Quant oder Factor Investing hat einige nützliche und vernünftige Aspekte, die sich auch im Rahmen anderer Strategien zur Auswahl der Investments anwenden lassen.
4 Antworten auf „Quant Investing ist ein zweischneidiges Schwert – nützlich und gefährlich zugleich“
Hallo Petra,
ich kann viele deiner Argumente gut verstehen und nachvollziehen. Niemand kann 100% Fehler vermeiden, 100% einer Strategie treu bleiben (die er hoffentlich erstmal definiert hat!), 100% saubere Daten benutzen oder 100%ig richtige Entscheidungen treffen. Warum Du daraus aber die Schlussfolgerung ziehst, dass deshalb nur kleine Summen mit „Strategie“ oder „Quant“ investiert werden sollten, verstehe ich nicht.
Große Summen langfristig zu investieren, mit höheren absoluten Buch-Verlusten und Buch-Gewinnen, lernt man nämlich nicht mit kleinen Summen. Die „starken Nerven“ und „Disziplin und Durchhaltevermögen“ erwirbt man sich durch Training. Anders geht es nicht. Ich habe einfach kontinuierlich über die Jahre die einzelnen Positionsgrößen nach oben angepaßt.
Und Perfektionismus, also 100% ohne Fehler, immer strategiekonform und diszipliniert, gibt es nicht. Übrigens weder für Quants, Value-, Growth- noch ETF-Anleger, für Amateure oder Profis, wenn man den Zahlen der einschlägigen Studien trauen möchte.
Ok, aber zurück zum Thema: Schreckt mich dieses Wissen nicht perfekt zu sein ab, mein Leben zu leben, zu heiraten, ein Unternehmen zu gründen, … Nein! Also gilt das für das Investieren ebenso: Bange machen gilt nicht. Versuchen wir stattdessen, mit Unsicherheit klar zu kommen, Überraschungen zu meistern, das „Behavior Gap“ anzuerkennen sowie mittels Strategie zu minimieren. Mehr geht nicht.
In Summe resultiert daraus – meine persönliche Sicht nach ~25 Jahren – dass die Depot-Entwicklung recht fehlertolerant ist. Es reicht aus, Fehlerminimierung zu betreiben, um weit vor dem MSCI World ins Ziel zu kommen. Nicht auf Sicht Quartal, Kalenderjahr oder irgendwelchen Mess-Perioden, sondern auf Sicht eines Anlegerlebens inklusiver aller Kosten, Steuern, Rückschlägen und Crashs.
Grüße,
Covacoro
Wow, so ein langer Kommentar. Danke für deine Mühe.
Ist für mich nicht schlimm, wenn du mir nicht zustimmst bzw. mein persönliches Fazit nicht verstehst.
Übrigens steht dort nicht wie von dir behauptet „Quant Investing funktioniert nur mit kleinen Summen“, sondern „… funktioniert nur mit nicht zu großem Einsatz“. Was ein zu großer Einsatz ist und was nicht, ist von Mensch zu Mensch verschieden und ja, da kann man „hineinwachsen“. Was ich als kleinen Einsatz ansehe, sehen manch andere vielleicht schon als großen Einsatz an.
Hallo Petra,
ich bin zwar vom Quant investing abgekommen, betreibe aber im Rahmen meiner Strategie intensives „screen-scraping“ und lese gerne Deine Beiträge. Um richtig Geld anzulegen sind mir jedoch ein paar Fundamentaldaten zu wenig. Trotzdem lernt man durch Quants, sich Regeln zu eigen zu machen und daran zu halten, was bei jeder Strategie sehr wichtig ist. Regeln müssen dabei jedoch nicht quantitav sein (etwa die Wertschätzung eines CEOs).
Trotzdem fasziniert mich, die Vorstellung sich mittels systematischer Analyse der Vergangenheit einen Vorteil zu verschaffen und das in automatisierter Form (Ich bin Methodenentwickler). Kennst Du James Simons und Renaissance Technologies ?
Ich bin mir sicher, dass durch adaptive Systeme Überrenditen erzielbar sind. Vieleicht gibt es sie schon … und hoffendlich behalten die es für sich.
Grüße,
Hallo Johannes,
ja genau, mit den Regeln hast du recht. Das meine ich damit, dass in jeder vernünftigen Strategie ein wenig Quant Investing steckt.
James Simons kenne ich nicht.
Zu den Systemen mit den Überrenditen: Ich frage mich immer, warum jemand überhaupt so etwas nebst „Studie“ veröffentlicht anstelle es für sich zu behalten und einfach schön ungestört die hohen Renditen zu kassieren. Deshalb denke ich auch, dass wenn es solche Systeme gäbe, diese wahrscheinlich nicht veröffentlicht würden. 😉