Fast täglich fahre ich mit der Berliner S-Bahn, genauer gesagt, mit der Ringbahn. Die fährt sehr oft, sofern nicht gerade Streik ist, mal wieder jemand eine Menge wichtiger Kabel geklaut hat, oder eine hochkant auf den Gleisen liegende Schneeflocke zu großen Einschränkungen führt. Also ich spreche jetzt vom „Normalbetrieb“ innerhalb der Woche. Dabei kann ich auf dem Weg nach Hause immer wieder das folgende interessante Phänomen beobachten:
Ich komme auf den Bahnsteig, dort wimmelt es von Menschen. Dann fährt eine Bahn ein, in meine Richtung. Die ist schon proppevoll. Die Bahn hält, großes Gewühl, einige Leute steigen aus, noch mehr Leute steigen ein. Ich schaue mir das erst einmal in Ruhe an und denke: ‚Och nö, das ist mir zu unbequem.‘ Also bleibe ich auf dem Bahnsteig stehen. Die ausgestiegenen Leute verschwinden rasch über die Treppen. Überhaupt sieht der Bahnsteig im Vergleich zu vorher ziemlich leer aus. Das ist ein gutes Zeichen. Was passiert dann meistens? Fast unmittelbar nach der soeben ohne mich abgefahrenen Bahn kommt eine weitere. Die ist nicht so voll. Ich kann gemütlich einsteigen, mir in Ruhe einen Sitzplatz aussuchen und die Fahrt genießen.
Was ich hier beschrieben habe, ist keine zufällige Begebenheit, sondern etwas, dass ich jede Woche mehrmals beobachte: Wenn der Bahnsteig schon übermäßig voll ist, und die dann ankommende Bahn ebenfalls, deutet das darauf hin, dass sich deren Abfahrt bereits an einer der Stationen vorher verzögert hat. Die nachfolgende Bahn wird höchstwahrscheinlich unmittelbar danach kommen. Die meisten Fahrgäste achten nicht auf so etwas oder wollen nicht das Risiko eingehen, dass eben nicht gleich die nächste Bahn kommt, und sie dann doch noch drei Minuten länger warten müssten. Ich kann stets nur sehr wenige Leute ausmachen, die es so halten wie ich.
Was hat das nun mit den Börsenkursen zu tun? Ich finde, Kaufgelegenheiten für Aktien sind ein wenig wie die S-Bahnen. Man könnte fast jede vorbeikommende „Bahn“ nehmen, oder anders ausgedrückt, zu jeder Zeit kaufen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass an der Börse meistens in „vollen S-Bahnen“ gefahren wird. In den letzten 6 Monaten gingen die Kurse zwar eher seitwärts, die Bahnen sind dennoch relativ voll, aber ab und zu gibt es den einen oder anderen Sitzplatz. Was ich damit sagen will, ist:
Wenn ein Unternehmen solide und rentabel ist und auch noch schöne Dividenden zahlt, kann man die Aktie kaufen, sofern diese nicht überteuert ist. Langfristig wird sich das auszahlen. Allerdings zahlt es sich oftmals noch mehr aus, wenn man ein wenig wartet, um günstiger zu kaufen. Nun macht es aber auch keinen Sinn, mit allen Käufen auf den „Super-Crash“ zu warten. Die ganz leere S-Bahn, die man für sich alleine hat, kommt einfach zu selten. Worauf man sich jedoch verlassen kann, sind Konsolidierungen, also Kursrücksetzer. In meiner S-Bahn-Terminologie also die jeweils folgende Bahn, die nicht mehr ganz so voll ist.
Wie setze ich das in meiner Anlagestrategie um? Zuerst analysiere ich die Unternehmen genau, um festzustellen, ob ich es als in Frage kommendes Investment sehe. Dazu betrachte ich Geschäftsfeld, Gewinne, Eigenkapitalquote, Rentabilität usw. Zur Einschätzung, ob es sich um ein günstiges Angebot handelt, sehe ich mir Kurs-Gewinn-Verhältnis, Kurs-Buchwert-Verhältnis usw. an, und natürlich auch die Dividendenrendite. Ich schaue auch auf Alternativen innerhalb der Branche. Habe ich mich für eine Aktie entschieden, überlege ich mir, ob ich bereit bin, den aktuellen Kurs dafür zu bezahlen. Vielleicht gibt es ja gerade einen Kursrücksetzer. Falls nicht, denke ich darüber nach, ob eine limitierte Kauforder Sinn macht, und wie ich in dem Fall das Limit bzw. den Zeitraum dafür setzen möchte. Auch wenn ich dann eine erste Position aufbaue, lasse ich mir immer noch die Nachkaufoption offen, falls die Kurse noch signifikant weiter sinken sollten.
Auch wenn sich das alles so einfach anhört, ist noch etwas mentale Ausgeglichenheit nötig, die dafür sorgt, dass man sich über realisierte Erträge viel mehr freut als man sich über entgangene Chancen ärgert.
3 Antworten auf „Von S-Bahnen und Börsenkursen“
Den optimalen Einstiegszeitraum abzupassen ist ja gerade das schwierige an der Börse. Jeder versucht es, aber die wenigsten (oder niemand) schaffen das. Wenn man ein bisschen sich nach günstigen Aktien umschaut und nicht gerade bei den Höchstständen einkauft, sollte man die Zeit für sich ausnutzen. Der Einstiegskurs wird umso unwichtiger, umso länger Aktien gehalten werden können.
Aber der Vergleich mit S-Bahnen sehr interessant. Habe ich so auch noch nicht gehört. 🙂
Wo siehst Du denn aktuell leere oder weniger gefüllte S-Bahnen? Und um bei dem Bild zu bleiben, fahren diese nicht doch alle in die gleiche Richtung?
Volle S-Bahn (Biotech, Social Media usw.). Eigentlich müsste man dann auch sagen, dass man mit den üblichen Konsumwerten im volle Zug sitzt, da ebenfalls aufgebläht.
Leere Züge: Industriewerte (z.B. United Tech), Geisterbahn (Rohstoffwerte), Fahrt ins Nirgendwo (Ölwerte)?
„Leere Züge“ sind in der Tat momentan rar. Ist auch schwierig, hier einfach so pauschel zu sagen, diese Branche ist so, jene wieder so. Da schaue ich mir lieber die Unternehmen im einzelnen an.
Was ich mit meinem Beispiel bzw. meinem kleinen (vielleicht auch etwas hinkenden) Vergleich sagen wollte, ist, dass es immer gut ist, den eigenen Kopf zu bemühen, anstelle der Masse nachzulaufen. Manchmal hilft es, einfach etwas auf eine günstigere Gelegenheit (also einen nicht ganz so vollen Zug) zu warten. Man ist doch nicht gezwungen, immer etwas zu kaufen.